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Elberfelder 1905

Die Klagelieder

Kapitel 1

1 Wie sitzt einsam die volkreiche Stadt, ist einer Witwe gleich geworden die Große unter den Nationen; die Fürstin unter den Landschaften ist zinsbar geworden!
2 Bitterlich weint sie des Nachts, und ihre Tränen sind auf ihren Wangen; sie hat keinen Tröster unter allen, die sie liebten; alle ihre Freunde haben treulos an ihr gehandelt, sind ihr zu Feinden geworden.
3 Juda ist ausgewandert vor Elend und vor schwerer Dienstbarkeit; es wohnt unter den Nationen, hat keine Ruhe gefunden; seine Verfolger haben es in der Bedrängnis ergriffen.
4 Die Wege Zions trauern, weil niemand zum Feste kommt; alle ihre Tore sind öde; ihre Priester seufzen; ihre Jungfrauen sind betrübt, und ihr selbst ist es bitter.
5 Ihre Bedränger sind zum Haupte geworden, ihre Feinde sind wohlgemut; denn Jahwe hat sie betrübt wegen der Menge ihrer Übertretungen; vor dem Bedränger her sind ihre Kinder in Gefangenschaft gezogen.
6 Und von der Tochter Zion ist all ihre Pracht gewichen; ihre Fürsten sind wie Hirsche geworden, die keine Weide finden, und kraftlos gingen sie vor dem Verfolger einher.
7 In den Tagen ihres Elends und ihres Umherirrens gedenkt Jerusalem all ihrer Kostbarkeiten, die seit den Tagen der Vorzeit waren, da nun ihr Volk durch die Hand des Bedrängers gefallen ist und sie keinen Helfer hat: Die Bedränger sehen sie an, spotten ihres Feierns.
8 Jerusalem hat schwer gesündigt, darum ist sie wie eine Unreine geworden; alle, die sie ehrten, verachten sie, weil sie ihre Blöße gesehen haben; auch sie selbst seufzt und wendet sich ab.
9 Ihre Unreinigkeit ist an ihren Säumen; sie hat ihr Ende nicht bedacht und ist wunderbar heruntergekommen: Da ist niemand, der sie tröste. Sieh, Jahwe, mein Elend, denn der Feind hat großgetan!
10 Der Bedränger hat seine Hand ausgebreitet über alle ihre Kostbarkeiten; denn sie hat gesehen, daß Nationen in ihr Heiligtum gekommen sind, von welchen du geboten hast: Sie sollen nicht in deine Versammlung kommen!
11 All ihr Volk seufzt, sucht nach Brot; sie geben ihre Kostbarkeiten für Speise hin, um sich zu erquicken. Sieh, Jahwe, und schaue, daß ich verachtet bin!
12 Merket ihr es nicht, alle, die ihr des Weges ziehet? Schauet und sehet, ob ein Schmerz sei wie mein Schmerz, der mir angetan worden, mir, die Jahwe betrübt hat am Tage seiner Zornglut.
13 Aus der Höhe hat er ein Feuer in meine Gebeine gesandt, daß es sie überwältigte; ein Netz hat er meinen Füßen ausgebreitet, hat mich zurückgewendet; er hat mich zur Wüste gemacht, siech den ganzen Tag.
14 Angeschirrt durch seine Hand ist das Joch meiner Übertretungen: Sie haben sich verflochten, sind auf meinen Hals gekommen; er hat meine Kraft gebrochen. Der Herr hat mich in Hände gegeben, daß ich mich nicht aufrichten kann.
15 Der Herr hat alle meine Starken weggerafft in meiner Mitte; er hat ein Fest wider mich ausgerufen, um meine Jünglinge zu zerschmettern; der Herr hat der Jungfrau, der Tochter Juda, die Kelter getreten.
16 Darüber weine ich, rinnt mein Auge, mein Auge von Wasser; denn fern von mir ist ein Tröster, der meine Seele erquicken könnte; meine Kinder sind vernichtet, denn der Feind hat obgesiegt.
17 Zion breitet ihre Hände aus: Da ist niemand, der sie tröste. Jahwe hat seine Bedränger ringsum gegen Jakob entboten; wie eine Unreine ist Jerusalem unter ihnen geworden.
18 Jahwe ist gerecht, denn ich bin widerspenstig gegen seinen Mund gewesen. Höret doch, ihr Völker alle, und sehet meinen Schmerz! Meine Jungfrauen und meine Jünglinge sind in die Gefangenschaft gezogen.
19 Ich rief meinen Liebhabern, sie aber betrogen mich; meine Priester und meine Ältesten sind in der Stadt verschieden, als sie für sich Speise suchten, damit sie ihre Seele erquicken möchten.
20 Sieh, Jahwe, wie mir angst ist! Meine Eingeweide wallen, mein Herz wendet sich um in meinem Innern; denn ich bin sehr widerspenstig gewesen. Draußen hat mich das Schwert der Kinder beraubt, drinnen ist es wie der Tod.
21 Sie haben gehört, daß ich seufzte: Ich habe niemand, der mich tröstet! Alle meine Feinde haben mein Unglück gehört, haben sich gefreut, daß du es getan hast. Führst du den Tag herbei, den du verkündigt hast, so werden sie sein wie ich.
22 Laß alle ihre Bosheit vor dein Angesicht kommen und tue ihnen, wie du mir getan hast wegen aller meiner Übertretungen; denn viele sind meiner Seufzer, und mein Herz ist siech.

Kapitel 2

1 Wie umwölkt der Herr in seinem Zorne die Tochter Zion! Er hat die Herrlichkeit Israels vom Himmel zur Erde geworfen, und hat des Schemels seiner Füße nicht gedacht am Tage seines Zornes.
2 Der Herr hat schonungslos vernichtet alle Wohnstätten Jakobs; er hat in seinem Grimme niedergerissen die Festen der Tochter Juda; zu Boden geworfen, entweiht hat er das Königtum und seine Fürsten.
3 In Zornesglut hat er abgehauen jedes Horn Israels; er hat seine Rechte zurückgezogen vor dem Feinde, und hat Jakob in Brand gesteckt wie ein flammendes Feuer, das ringsum frißt.
4 Seinen Bogen hat er gespannt wie ein Feind, hat mit seiner Rechten sich hingestellt wie ein Gegner und alle Lust der Augen getötet; in das Zelt der Tochter Zion hat er seinen Grimm ausgegossen wie Feuer.
5 Der Herr ist wie ein Feind geworden, er hat Israel vernichtet, vernichtet alle ihre Paläste, seine Festen zerstört; und bei der Tochter Juda hat er Seufzen und Stöhnen gemehrt.
6 Und er hat sein Gehege zerwühlt wie einen Garten, hat den Ort seiner Festversammlung zerstört; Jahwe machte in Zion Fest und Sabbath vergessen; und in seines Zornes Grimm verschmähte er König und Priester.
7 Der Herr hat seinen Altar verworfen, sein Heiligtum verschmäht; er hat die Mauern ihrer Prachtgebäude der Hand des Feindes preisgegeben: Sie haben im Hause Jahwes Lärm erhoben wie an einem Festtage.
8 Jahwe hat sich vorgenommen, die Mauer der Tochter Zion zu zerstören; er zog die Meßschnur, wandte seine Hand vom Verderben nicht ab; und Wall und Mauer hat er trauern lassen: Zusammen liegen sie kläglich da.
9 In die Erde gesunken sind ihre Tore, zerstört und zerschlagen hat er ihre Riegel; ihr König und ihre Fürsten sind unter den Nationen, kein Gesetz ist mehr; auch ihre Propheten erlangen kein Gesicht von Jahwe.
10 Verstummt sitzen auf der Erde die Ältesten der Tochter Zion; sie haben Staub auf ihr Haupt geworfen, Sacktuch sich umgegürtet; die Jungfrauen Jerusalems haben ihr Haupt zur Erde gesenkt.
11 Durch Tränen vergehen meine Augen, meine Eingeweide wallen, meine Leber hat sich zur Erde ergossen: wegen der Zertrümmerung der Tochter meines Volkes, weil Kind und Säugling auf den Straßen der Stadt verschmachten.
12 Zu ihren Müttern sagen sie: Wo ist Korn und Wein? indem sie wie tödlich Verwundete hinschmachten auf den Straßen der Stadt, indem ihre Seele sich ergießt in den Busen ihrer Mütter.
13 Was soll ich dir bezeugen, was dir vergleichen, Tochter Jerusalem? Was soll ich dir gleichstellen, daß ich dich tröste, du Jungfrau, Tochter Zion? Denn deine Zertrümmerung ist groß wie das Meer: Wer kann dich heilen?
14 Nichtiges und Ungereimtes haben deine Propheten dir geschaut; und sie deckten deine Ungerechtigkeit nicht auf, um deine Gefangenschaft zu wenden; sondern sie schauten dir Aussprüche der Nichtigkeit und der Vertreibung.
15 Alle, die des Weges ziehen, schlagen über dich die Hände zusammen, sie zischen und schütteln ihren Kopf über die Tochter Jerusalem: »Ist das die Stadt, von der man sagte: Der Schönheit Vollendung, eine Freude der ganzen Erde«?
16 Alle deine Feinde sperren ihren Mund über dich auf, sie zischen und knirschen mit den Zähnen; sie sprechen: Wir haben sie verschlungen; fürwahr, dies ist der Tag, den wir erhofft haben: Wir haben ihn erreicht, gesehen!
17 Jahwe hat getan, was er beschlossen, hat sein Wort erfüllt, das er von den Tagen der Vorzeit her entboten hat. Er hat schonungslos niedergerissen und den Feind sich über dich freuen lassen, hat das Horn deiner Bedränger erhöht.
18 Ihr Herz schreit zu dem Herrn. Du Mauer der Tochter Zion, laß, einem Bache gleich, Tränen rinnen Tag und Nacht; gönne dir keine Rast, deinem Augapfel keine Ruhe!
19 Mache dich auf, klage in der Nacht beim Beginn der Nachtwachen, schütte dein Herz aus wie Wasser vor dem Angesicht des Herrn; hebe deine Hände zu ihm empor für die Seele deiner Kinder, die vor Hunger verschmachten an allen Straßenecken!
20 Sieh, Jahwe, und schaue, wem du also getan hast! Sollen Weiber ihre Leibesfrucht essen, die Kindlein, welche sie auf den Händen tragen? Sollen im Heiligtum des Herrn ermordet werden Priester und Prophet?
21 Knaben und Greise liegen am Boden auf den Straßen; meine Jungfrauen und meine Jünglinge sind durchs Schwert gefallen; hingemordet hast du am Tage deines Zornes, geschlachtet ohne Schonung.
22 Meine Schrecknisse hast du von allen Seiten herbeigerufen wie an einem Festtage, und nicht einer entrann oder blieb übrig am Tage des Zornes Jahwes; die ich auf den Händen getragen und erzogen habe, mein Feind hat sie vernichtet.

Kapitel 3

1 Ich bin der Mann, der Elend gesehen durch die Rute seines Grimmes.
2 Mich hat er geleitet und geführt in Finsternis und Dunkel.
3 Nur gegen mich kehrt er immer wieder seine Hand den ganzen Tag.
4 Er hat verfallen lassen mein Fleisch und meine Haut, meine Gebeine hat er zerschlagen.
5 Bitterkeit und Mühsal hat er wider mich gebaut und mich damit umringt.
6 Er ließ mich wohnen in Finsternissen, gleich den Toten der Urzeit.
7 Er hat mich umzäunt, daß ich nicht herauskommen kann; er hat schwer gemacht meine Fesseln.
8 Wenn ich auch schreie und rufe, so hemmt er mein Gebet.
9 Meine Wege hat er mit Quadern vermauert, meine Pfade umgekehrt.
10 Ein lauernder Bär ist er mir, ein Löwe im Versteck.
11 Er hat mir die Wege entzogen und hat mich zerfleischt, mich verwüstet.
12 Er hat seinen Bogen gespannt und mich wie ein Ziel dem Pfeile hingestellt.
13 Er ließ in meine Nieren dringen die Söhne seines Köchers.
14 Meinem ganzen Volke bin ich zum Gelächter geworden, bin ihr Saitenspiel den ganzen Tag.
15 Mit Bitterkeiten hat er mich gesättigt, mit Wermut mich getränkt.
16 Und er hat mit Kies meine Zähne zermalmt, hat mich niedergedrückt in die Asche.
17 Und du verstießest meine Seele vom Frieden, ich habe des Guten vergessen.
18 Und ich sprach: Dahin ist meine Lebenskraft und meine Hoffnung auf Jahwe.
19 Gedenke meines Elends und meines Umherirrens, des Wermuts und der Bitterkeit!
20 Beständig denkt meine Seele daran und ist niedergebeugt in mir.
21 Dies will ich mir zu Herzen nehmen, darum will ich hoffen:
22 Es sind die Gütigkeiten Jahwes, daß wir nicht aufgerieben sind; denn seine Erbarmungen sind nicht zu Ende;
23 sie sind alle Morgen neu, deine Treue ist groß.
24 Jahwe ist mein Teil, sagt meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen.
25 Gütig ist Jahwe gegen die, welche auf ihn harren, gegen die Seele, die nach ihm trachtet.
26 Es ist gut, daß man still warte auf die Rettung Jahwes.
27 Es ist dem Manne gut, daß er das Joch in seiner Jugend trage.
28 Er sitze einsam und schweige, weil er es ihm auferlegt hat;
29 er lege seinen Mund in den Staub; vielleicht gibt es Hoffnung.
30 Dem, der ihn schlägt, reiche er den Backen dar, werde mit Schmach gesättigt.
31 Denn der Herr verstößt nicht ewiglich;
32 sondern wenn er betrübt hat, erbarmt er sich nach der Menge seiner Gütigkeiten.
33 Denn nicht von Herzen plagt und betrübt er die Menschenkinder.
34 Daß man alle Gefangenen der Erde unter seinen Füßen zertrete,
35 das Recht eines Mannes beuge vor dem Angesicht des Höchsten,
36 einem Menschen Unrecht tue in seiner Streitsache: Sollte der Herr nicht darauf achten?
37 Wer ist, der da sprach, und es geschah, ohne daß der Herr es geboten?
38 Das Böse und das Gute, geht es nicht aus dem Munde des Höchsten hervor?
39 Was beklagt sich der lebende Mensch? Über seine Sünden beklage sich der Mann!
40 Prüfen und erforschen wir unsere Wege, und laßt uns zu Jahwe umkehren!
41 Laßt uns unser Herz samt den Händen erheben zu Gott im Himmel!
42 Wir, wir sind abgefallen und sind widerspenstig gewesen; du hast nicht vergeben.
43 Du hast dich in Zorn gehüllt und hast uns verfolgt; du hast hingemordet ohne Schonung.
44 Du hast dich in eine Wolke gehüllt, so daß kein Gebet hindurchdrang.
45 Du hast uns zum Kehricht und zum Ekel gemacht inmitten der Völker.
46 Alle unsere Feinde haben ihren Mund gegen uns aufgesperrt.
47 Grauen und Grube sind über uns gekommen, Verwüstung und Zertrümmerung.
48 Mit Wasserbächen rinnt mein Auge wegen der Zertrümmerung der Tochter meines Volkes.
49 Mein Auge ergießt sich ruhelos und ohne Rast,
50 bis Jahwe vom Himmel herniederschaue und dareinsehe.
51 Mein Auge schmerzt mich wegen aller Töchter meiner Stadt.
52 Wie einen Vogel haben mich heftig gejagt, die ohne Ursache meine Feinde sind.
53 Sie haben mein Leben in die Grube hinein vernichtet und Steine auf mich geworfen.
54 Wasser strömten über mein Haupt; ich sprach: Ich bin abgeschnitten!
55 Jahwe, ich habe deinen Namen angerufen aus der tiefsten Grube.
56 Du hast meine Stimme gehört; verbirg dein Ohr nicht vor meinem Seufzen, meinem Schreien!
57 Du hast dich genaht an dem Tage, da ich dich anrief; du sprachst: Fürchte dich nicht!
58 Herr, du hast die Rechtssachen meiner Seele geführt, hast mein Leben erlöst.
59 Jahwe, du hast meine Bedrückung gesehen; verhilf mir zu meinem Rechte!
60 Du hast gesehen alle ihre Rache, alle ihre Anschläge gegen mich.
61 Jahwe, du hast ihr Schmähen gehört, alle ihre Anschläge wider mich,
62 das Gerede derer, die wider mich aufgestanden sind, und ihr Sinnen wider mich den ganzen Tag.
63 Schaue an ihr Sitzen und ihr Aufstehen! Ich bin ihr Saitenspiel.
64 Jahwe, erstatte ihnen Vergeltung nach dem Werke ihrer Hände!
65 Gib ihnen Verblendung des Herzens, dein Fluch komme über sie!
66 Verfolge sie im Zorne und tilge sie unter Jahwes Himmel hinweg!

Kapitel 4

1 Wie ward verdunkelt das Gold, verändert das gute, feine Gold! Wie wurden verschüttet die Steine des Heiligtums an allen Straßenecken!
2 Die Kinder Zions, die kostbaren, die mit gediegenem Golde aufgewogenen, wie sind sie irdenen Krügen gleichgeachtet, dem Werke von Töpferhänden!
3 Selbst Schakale reichen die Brust, säugen ihre Jungen; die Tochter meines Volkes ist grausam geworden wie die Strauße in der Wüste.
4 Die Zunge des Säuglings klebt vor Durst an seinem Gaumen; die Kinder fordern Brot, niemand bricht es ihnen.
5 Die von Leckerbissen aßen, verschmachten auf den Straßen; die auf Karmesin getragen wurden, liegen auf Misthaufen.
6 Und die Schuld der Tochter meines Volkes ist größer geworden als die Sünde Sodoms, welches plötzlich umgekehrt wurde, ohne daß Hände dabei tätig waren.
7 Ihre Fürsten waren reiner als Schnee, weißer als Milch; röter waren sie am Leibe als Korallen, wie Saphir ihre Gestalt.
8 Dunkler als Schwärze ist ihr Aussehen, man erkennt sie nicht auf den Straßen; ihre Haut klebt an ihrem Gebein, ist dürr geworden wie Holz.
9 Die vom Schwert Erschlagenen sind glücklicher als die vom Hunger Getöteten, welche hinschmachten, durchbohrt vom Mangel an Früchten des Feldes.
10 Die Hände barmherziger Weiber haben ihre Kinder gekocht; sie wurden ihnen zur Speise bei der Zertrümmerung der Tochter meines Volkes.
11 Jahwe hat seinen Grimm vollendet, seine Zornglut ausgegossen; und er hat in Zion ein Feuer angezündet, das seine Grundfesten verzehrt hat.
12 Die Könige der Erde hätten es nicht geglaubt, noch alle Bewohner des Erdkreises, daß Bedränger und Feind in die Tore Jerusalems kommen würden.
13 Es ist wegen der Sünden seiner Propheten, der Missetaten seiner Priester, welche in seiner Mitte das Blut der Gerechten vergossen haben.
14 Sie irrten blind auf den Straßen umher; sie waren mit Blut befleckt, so daß man ihre Kleider nicht anrühren mochte.
15 »Weichet! Unrein!« rief man ihnen zu; »Weichet, weichet, rühret nicht an!« Wenn sie flüchteten, so irrten sie umher; man sagte unter den Nationen: Sie sollen nicht länger bei uns weilen!
16 Jahwes Angesicht hat sie zerstreut, er schaut sie nicht mehr an. Auf die Priester hat man keine Rücksicht genommen, an Greisen nicht Gnade geübt.
17 Noch schmachten unsere Augen nach unserer nichtigen Hilfe; in unserem Warten warten wir auf ein Volk, das nicht retten wird.
18 Sie stellen unseren Schritten nach, daß wir auf unseren Straßen nicht gehen können. Unser Ende ist nahe, voll sind unsere Tage; ja, unser Ende ist gekommen.
19 Unsere Verfolger waren schneller als die Adler des Himmels; sie jagten uns nach auf den Bergen, in der Wüste lauerten sie auf uns.
20 Unser Lebensodem, der Gesalbte Jahwes, wurde in ihren Gruben gefangen, von welchem wir sagten: In seinem Schatten werden wir leben unter den Nationen.
21 Sei fröhlich und freue dich, Tochter Edom, Bewohnerin des Landes Uz! Auch an dich wird der Becher kommen; du wirst trunken werden und dich entblößen.
22 Zu Ende ist deine Schuld, Tochter Zion! Er wird dich nicht mehr wegführen. er wird deine Missetat heimsuchen, Tochter Edom, er wird deine Sünden aufdecken.

Kapitel 5

1 Gedenke, Jahwe, dessen, was uns geschehen! Schaue her und sieh unsere Schmach!
2 Unser Erbteil ist Fremden zugefallen, unsere Häuser Ausländern.
3 Wir sind Waisen, ohne Vater; unsere Mütter sind wie Witwen.
4 Unser Wasser trinken wir um Geld, unser Holz bekommen wir gegen Zahlung.
5 Unsere Verfolger sind uns auf dem Nacken; wir ermatten, man läßt uns keine Ruhe.
6 Ägypten reichen wir die Hand, und Assyrien, um mit Brot gesättigt zu werden.
7 Unsere Väter haben gesündigt, sie sind nicht mehr; wir, wir tragen ihre Missetaten.
8 Knechte herrschen über uns; da ist niemand, der uns aus ihrer Hand reiße.
9 Wir holen unser Brot mit Gefahr unseres Lebens, wegen des Schwertes der Wüste.
10 Vor den Gluten des Hungers brennt unsere Haut wie ein Ofen.
11 Sie haben Weiber geschwächt in Zion, Jungfrauen in den Städten Judas.
12 Fürsten sind durch ihre Hand aufgehängt, das Angesicht der Alten wird nicht geehrt.
13 Jünglinge tragen die Handmühle, und Knaben straucheln unter dem Holze.
14 Die Alten bleiben fern vom Tore, die Jünglinge von ihrem Saitenspiel.
15 Die Freude unseres Herzens hat aufgehört, in Trauer ist unser Reigen verwandelt.
16 Gefallen ist die Krone unseres Hauptes. Wehe uns! Denn wir haben gesündigt.
17 Darum ist unser Herz siech geworden, um dieser Dinge willen sind unsere Augen verdunkelt:
18 Wegen des Berges Zion, der verwüstet ist; Füchse streifen auf ihm umher.
19 Du, Jahwe, thronst in Ewigkeit; dein Thron ist von Geschlecht zu Geschlecht.
20 Warum willst du uns für immer vergessen, uns verlassen auf immerdar?
21 Jahwe, bringe uns zu dir zurück, daß wir umkehren; erneuere unsere Tage wie vor alters!
22 Oder solltest du uns gänzlich verworfen haben, gar zu sehr auf uns zürnen?